Reform der privaten Altersvorsorge: Die europäische Perspektive
Nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen europäischen Ländern gibt es tiefgreifende Debatten um Reformen der Rentensysteme1. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich Frankreich, wo bereits durchgesetzte Reformen teilweise wieder zurückgenommen werden sollen – als Folge der vorgezogenen Parlamentswahlen vom Sommer dieses Jahres. Auf EU-Ebene gibt es seit 2019 ein konkret vorliegendes privates Rentenprodukt (PEPP), welches sich bisher aber nicht durchsetzen konnte. Die möglichen Vorteile aus Verbrauchersicht, aber auch die Gründe für diesen bisherigen Fehlschlag sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
Das Wichtigste auf einen Blick:
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PEPP kaum erfolgreich: Das EU-weite Altersvorsorgeprodukt PEPP hat seit 2022 nur wenig Anbieter und geringe Nachfrage.
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Kostenlimit problematisch: Anbieter lehnen den 1 %-Kostendeckel ab, da Vertrieb und Verwaltung zu teuer sind.
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Wenig Marketing: Kaum Werbung führt zu mangelndem Interesse der Verbraucher*innen.
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EIOPA-Vorschlag: Bürokratie abbauen, indem das grenzüberschreitende Angebot optional wird.
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Zukunft unsicher: In osteuropäischen Ländern gibt es Potenzial, aber in gesättigten Märkten wie Deutschland wenig Chancen.
Der Rechtsrahmen seit 2019
Der seit 2019 bestehende Rechtsrahmen für das „pan-europäische Altersvorsorge-Produkt“ (PEPP)2, nach dem seit 2022 in den EU-Staaten ein solches privates Rentenprodukt angeboten werden kann, sieht u. a. folgende grundlegende Bestimmungen vor:
1. Das PEPP kann als Bank- oder Fondssparplan oder als Privatrente angeboten werden (in einigen Staaten sogar als Betriebsrente).
2. Es soll eine Basisvariante geben mit einem Kostendeckel von 1 % (bezogen auf das Vertragsguthaben), offen auch auf für den reinen Online-Vertrieb. Alle anderen Varianten sind hinsichtlich Kosten und Vertrieb völlig frei.
3. Es soll drei Formen von „Risikominderungsstrategien“ in der Ansparphase geben (Garantien, Kapitalpuffer und Lebenszyklus), um Auswirkungen möglicher größerer Kapitalmarktkrisen zu dämpfen.
4. Bei Auszahlung soll eine Wahlfreiheit zwischen lebenslanger Verrentung, Auszahlplan oder Kombination der beiden bestehen.
5. Eine umfassende Beratung sowohl bei Vertragsabschluss als auch während der Vertragslaufzeit, insbesondere unmittelbar vor Beginn der Auszahlphase, muss von den Produktanbietern gewährleistet werden.
Die explizit europäische Dimension von PEPP soll dadurch umgesetzt werden, dass jeder Produktanbieter von vorneherein anbieten muss, das PEPP auch in mindestens zwei weiteren EU-Mitgliedsstaaten zusätzlich anzubieten. Im Falle eines Umzugs in einen dieser EU-Staaten könnte der Vertrag dann weitergeführt werden. Diese EU-weite Zulassung soll im Kern dem entsprechen, was für Investmentfonds durch die UCITS-Zulassung bereits seit Langem realisiert wurde3.
In einem Begleitschreiben der EU wurden die Mitgliedsstaaten außerdem dazu aufgefordert, für PEPP mindestens dieselben steuerlichen Förderbedingungen umsetzen, wie sie für Rentenprodukte im nationalen Rahmen bereits bestehen4.
Bestandsaufnahme: bisheriger Fehlschlag
Nun befinden wir uns bereits im dritten Jahr der Marktöffnung und soweit bekannt ist, gibt es bisher nur einen Anbieter aus der Slowakei, der PEPP außer in seinem Heimatland noch in weiteren mittelosteuropäischen Staaten vertreibt. Das entspricht definitiv nicht den hohen Erwartungen, die in Brüssel und Frankfurt gehegt wurden. Wie ist dieser bisherige Fehlschlag zu erklären?
Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA in Frankfurt hat dazu vor Kurzem eine Untersuchung veröffentlicht5, die u. a. zu diesen Schlussfolgerungen bezüglich der Produktanbieter kommt:
1. Der Kostendeckel von 1 % wurde nicht akzeptiert (wegen höherer Vertriebs- und Marketingkosten insbesondere in der Markteinführungsphase).
2. Hohe Verwaltungskosten wegen des obligatorischen Produktangebots in mindestens zwei weiteren EU-Staaten, unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage von Kundenseite.
3. Angst vor „Kannibalisierung“ bestehender Spar- und Rentenprodukte durch die gesetzliche Auflage, ein Basis-PEPP immer anbieten zu müssen.
Eindeutig ist, dass es auch ein Nachfrageproblem von Kundenseite gibt, wie EIOPA konstatiert. Aber hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Wenn für ein neues Produkt praktisch keine Werbung gemacht wird, bleibt auch die Nachfrage im Keller. So hoch informierte Kundschaft, die von sich aus ein neues Rentenprodukt nachfragt, dürfte es – leider – nur wenig geben…
Wie sind diese Kritikpunkte weiter einzuschätzen? Der BdV hat zusammen mit BETTER FINANCE, der europäischen Partnerorganisation, die Einführung von PEPP in verschiedenen Stellungnahmen, Hearings und Expertenkommissionen von Anfang an unterstützt. Zum einen ging es darum, die öffentliche Diskussion über Kostenbelastungen insbesondere bei versicherungsförmigen Rentenprodukten aufrechtzuerhalten, zum anderen sollten konkret die Perspektiven für Produktinnovationen in diesem Bereich ausgelotet werden.
Was die Kostenfrage anbetrifft, so besteht wahrscheinlich vor allem ein interner Konflikt im Vertrieb bei den Versicherern selbst. Einerseits bieten fast alle Versicherer den Online-Abschluss von Privatrenten an, andererseits soll der klassische Vertrieb über Makler und Vertreter aber auch nicht zu sehr „gestört“ werden. Also sind Online-Vertragsabschlüsse vor allem für die Kundengruppe interessant, die sich im Netz selbst zurechtfindet und kostensparend, ggf. mit freiwilligem Beratungsverzicht, einen Vertrag abschließt. Für die wahrscheinlich weitaus größere Kundengruppe bleibt der traditionelle Weg zum Makler oder Vertreter. Auf diese Art und Weise lässt sich der mögliche „Kannibalisierungseffekt“ sowohl für die Vertriebswege als auch für die Produktangebote aus Sicht der Versicherer möglich geringhalten.
EIOPA hat deutlich gemacht, dass es das Vertriebskostenargument für nicht stichhaltig hält, da es aus dem außereuropäischen Bereich genügend Beispiele gibt (USA, Kanada, Australien u. a.), wo private Rentenprodukte – bei genügend großem Absatz - sogar unter den 1 %-Kostendeckel fallen.
In einem anderen Punkt kommt EIOPA dagegen den Produktanbietern entgegen. So wird vorgeschlagen, auf die Verpflichtung zum Angebot von Unterkonten in anderen EU-Staaten zu verzichten. Ein PEPP könnte somit auch ausschließlich in einem einzigen EU-Staat angeboten werden. Das wäre sicherlich eine Maßnahme zur Entbürokratisierung, obwohl dadurch gerade ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal von PEPP verloren ginge. Andererseits ist der Marktanteil von grenzüberschreitenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU immer noch sehr niedrig.
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Perspektiven für die weitere Entwicklung
Bei der Einschätzung für die zukünftigen Marktchancen von PEPP dürften die sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in den EU-Mitgliedsstaaten eine wesentliche Rolle spielen. So gibt es Staaten, in denen sowohl Angebot als auch Nachfrage nach Produkten privater Altersvorsorge bisher gering sind, wie vor allem in den östlichen Staaten. Hier könnten EIOPAs Vorschläge wahrscheinlich am ehesten greifen. In den anderen Staaten, in denen das Angebot sehr groß ist, dürfte es sehr viel schwieriger werden. Zum einen dürfte das selbst genutzte Wohneigentum einer der wichtigsten Pfeiler für die private Altersvorsorge bleiben (auch angesichts der historischen Erfahrungen mit Inflation), zum anderen sind in einigen Staaten Betriebsrenten dominant (wie etwa in den Niederlanden).
In Deutschland kann sicherlich sogar von einer Marktsättigung gesprochen werden, denn alle, die sich mit privater Altersvorsorge ernsthaft beschäftigen, müssen sich zuerst durch eine Fülle von Produktkategorien (Sparpläne von Banken und Investmentgesellschaften, Privatrenten der Versicherer, Betriebsrenten, usw.) „durchkämpfen“. Und wenn sie sich für eine Produktkategorie entschieden haben, muss im zweiten Schritt die konkrete Produktauswahl erfolgen, die womöglich noch aufwendiger ist. Informationsmöglichkeiten in Online- und Printmedien gibt es genügend, und womöglich geht mancher Abschlusswillige nur deswegen zum nächstbesten Vermittler, weil ihm der Auswahlprozess als zu schwierig erscheint.
Tatsache ist und bleibt, dass insbesondere die Versicherungsvertriebe sich gegen den reinen Online-Vertrieb stellen, was auch auf nationaler Ebene bezüglich des neuen geplanten Altersvorsorge-Depots beobachtet werden kann6. Sollte ein standardisiertes Basisprodukt eingeführt werden, könnte ein freiwilliger Beratungsverzicht möglich sein, welches einer provisionsgebundenen Vermittlung (nicht zu verwechseln mit einer unabhängigen Beratung) entgegenstünde.
Auf dem deutschen Markt gibt es sehr wohl Altersvorsorge-Angebote, die, wenn sie etwa ETF-basiert sind und ein reiner Online-Abschluss möglich ist, ohne allzu große Probleme in den PEPP-Rechtsrahmen hineinpassen würden. Die Frage bleibt allerdings, warum Produktanbieter das tun sollten, wenn etwa die Nachfrage nach grenzüberschreitender Vertragsfortführung weiterhin so gering bleibt. Ein Schub könnte sich daraus ergeben, wenn Altersvorsorgesparerinnen und -sparer aus anderen EU-Ländern hierzulande arbeiten und folglich ihren PEPP-Vertrag aus ihrem Heimatland mitnehmen wollen.
Die weitergehenden Vorschläge von EIOPA (wie die Verknüpfung mit betrieblicher Altersvorsorge oder ein Obligatorium) erscheinen zumindest für die deutsche Marktsituation als nicht unmittelbar relevant. Die vom Bundesfinanzministerium eingesetzte „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ war in ihrem Abschlussbericht vom Juli 2023 auf PEPP eingegangen (als eine Produktvariante für das zukünftige Altersvorsorge-Depot), in dem aktuellen BMF-Gesetzentwurf vom September 2024 war es allerdings nicht mehr erwähnt worden7.
Letzteres muss eindeutig kritisiert werden, denn an der Ausgangslage für Altersvorsorgesparerinnen und -sparer hat sich nichts grundlegend geändert. Es genügt, einen Blick auf die konstant hohen Vertriebskosten insbesondere der Lebensversicherer zu werfen8, sowie auf die mangelhafte Gesamtrendite im Vergleich zu ETFs oder Einzelaktien, und es wird deutlich, dass gerade versicherungsförmiges Altersvorsorgesparen nicht empfohlen werden kann. PEPP ist und bleibt ein Vehikel, um hierzulande diese notwendige öffentliche Diskussion aufrechtzuerhalten9.
1 vgl. hierzu die jährlich aktualisierte, EU-weite Untersuchung zur privaten und betrieblichen Altersvorsorge von Better Finance (Brüssel):
Will you afford to retire? | The Real Return of Long-term and Pension Savings | 2023 Edition
https://betterfinance.eu/publication/willyouaffordtoretire2023
2 Eine umfassende Übersicht über den Rechtsrahmen für PEPP sowohl für Produktanbieter als für Verbraucher geben Sonderseiten der Europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA in Frankfurt / Main (auf englisch) und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin):
Pan-European Personal Pension Product (PEPP)
PEPP - Paneuropäisches Privates Pensionsprodukt
https://www.bafin.de/DE/Verbraucher/Versicherung/Produkte/PEPP/PEPP_artikel.html
3 vgl. hierzu die BaFin-Informationsseite:
Wertpapierfonds auf einen Blick
4 vgl. hierzu EU-Monitor:
COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT IMPACT ASSESSMENT Accompanying the document Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on a pan-European Personal Pension Product (PEPP) and COMMISSION RECOMMENDATION on the tax treatment of personal pension products, including the pan-European Personal Pension Product.
https://www.eumonitor.eu/9353000/1/j9vvik7m1c3gyxp/vkfi775atstl
5 vgl. EIOPA-Website vom 11. September 2024:
EIOPA proposes a broad reform of the PEPP to tackle Europe’s pension gap and support the digital and green transitions.
6 vgl.: Das Investment vom 11.09.2024:
Was die Vermittlerverbände vom Altersvorsorge-Depot halten:
https://www.dasinvestment.com/vermittlerverbaende-altersvorsorgedepot-riester-afw-bvk/
7 vgl. Website des Bundesfinanzministeriums:
Fokusgruppe private Altersvorsorge legt Reformempfehlungen vor - 26.07.2023:
Gesetz zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (pAV-Reformgesetz) - 30.09.2024:
8 Ein entscheidendes Stichwort hierbei ist der „angemessene Kundennutzen“ („value for money“), wie die Aufsichtsbehörden auf nationaler und europäischer Ebene immer wieder betonen:
vgl. BaFin-Pressemitteilung vom 27.08.2024:
„Lebensversicherungen müssen einen angemessenen Kundennutzen bieten“
9 vgl. hierzu etwa die Website des Finanzökonomen Prof. Hartmut Walz: