„Automatische Anmeldung“ bei Betriebsrenten – Bestandsaufnahme und Perspektiven in der EU
Ende letzten Jahres hat die EU-Kommission eine Studie veröffentlicht, in der die Voraussetzungen und Perspektiven für eine weitergehende Verbreitung insbesondere der betrieblichen Altersversorgung empirisch untersucht wurden. Ein Mittel hierfür scheint die „Automatische Anmeldung“ („auto-enrolment“ - AE) zu sein, also ein „Mechanismus, der Einzelpersonen automatisch in ein Altersvorsorgesystem einbezieht, sofern sie sich nicht aktiv dagegen entscheiden“. Das wollen wir im Folgenden kurz darstellen.
Das Wichtigste auf einen Blick:
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Studie der EU-Kommission: Die EU untersucht Voraussetzungen und Perspektiven für eine weitergehende Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung, insbesondere durch „Automatische Anmeldung“ („auto-enrolment“ - AE).
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Die Studie nennt Erfolgsfaktoren für AE wie gesetzlicher Rahmen, klare Teilnahmeentscheidungen, standardisierte Anlageoptionen und transparente Kostenkontrolle sind zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Außerdem legt die Studie Empfehlungen für die Auszahlungsphase dar.
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Bedeutung für Deutschland: Die Studie liefert wichtige Denkanstöße für die Reform von Rente und Altersvorsorge.
Grundsätzlich ist es möglich, die AE auch für die private Altersvorsorge zu nutzen. In Schweden ist eine Teilhabe am staatlichen Rentenfonds „Premium Pension“ über private Altersvorsorgeverträge möglich, aber nur auf freiwilliger Basis (für Betriebsrenten gilt dagegen AE). Die Studie diskutiert AE deshalb vorrangig für Betriebsrenten als Durchführungsweg.
Folgende fünf grundlegende Voraussetzungen werden genannt, die nach den Fallanalysen auch in Nicht-EU-Staaten für eine erfolgreiche Umsetzung von AE notwendig sind:
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Gesetzlicher Rahmen: Nur in den USA hatte es schon in den 1980er-Jahren freiwillige Versuche von einzelnen Unternehmen gegeben, auf Eigeninitiative für ihre Beschäftigten ein AE-System durchzuführen. 1998 wurde ein allgemeiner gesetzlicher Rahmen eingeführt, so wie das auch in vielen EU-Staaten - unabhängig voneinander - mittlerweile der Fall ist (in Deutschland erst durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz 2018). Zumindest ist überall geregelt, welche Einrichtungen betrieblicher Altersversorgung AE anbieten dürfen und über welche Kontrollkompetenzen die Finanzaufsicht verfügt.
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Teilnahmeentscheidung: Hierunter fallen Fragen wie berechtigter Personenkreis, Minimum-Beschäftigungsdauer, Unter- und Obergrenzen für Alter und Einkommen, Einschluss von Selbständigen, Abwahlmöglichkeiten befristet oder nicht u. a. In der Praxis finden sich sowohl Fälle von obligatorischer AE (wie Italien, Polen, VK oder Neuseeland) als auch freiwilliger AE (wie Deutschland, Frankreich, Kanada und USA).
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Ansparphase – Anlageauswahl: Mit Beginn des Sparprozesses muss entschieden werden, ob überhaupt und wenn ja, welche Wahlmöglichkeiten für die Anlagestrategie bestehen (z. B. hinsichtlich Risikobereitschaft). Gibt es eine Standardoption, welche Faktoren sprechen für eine Auswahlbegrenzung (Vermeidung von individuellen Fehlentscheidungen u. a.)? Empirisch lassen sich fast alle Fallkonstellationen finden: mit großen Wahlmöglichkeiten (bis zu 200 Fonds z. B. in den USA), eingeschränkten Optionen (mit Standardoption in Schweden) oder im Gegenteil Entscheidungen durch den Arbeitgeber (VK, Polen, Kanada).
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Ansparphase – Vermögensaufbau: Ziel des Sparvorganges sind kontinuierliche Wertzuwächse, damit die Rentenansprüche steigen können. Entscheidend dafür sind die Höhe der Beitragszahlungen (Mindest- und Höchstbeiträge, Dynamisierung, aber auch Möglichkeit für befristete Unterbrechungen) sowie anfallende bAv-Kosten (insbesondere für Kapitalanlage, Verwaltung und Vertrieb). Neben größtmöglicher Transparenz findet Kostenkontrolle statt z. B. durch Deckelung von Managementgebühren oder Verbot von "flat fees" (gleich hohe absolute Gebühren unabhängig von der Höhe der Vertragsguthaben). Im VK gibt es einen Kostendeckel bei Arbeitgeberwechsel insbesondere für kleine Vertragsguthaben.
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Auszahlphase: Die am weitesten verbreiteten Auszahlmöglichkeiten sind lebenslange Verrentung, Einmalauszahlung, Auszahlpläne oder eine Kombination dieser Optionen. In Litauen beispielsweise hängen die Auszahloptionen von der Höhe des angesparten Vertragsguthabens ab: bis 3000 Euro Einmalauszahlung, bis 10.000 Euro Auszahlplan, bis 60.000 Euro Verrentung, über 60.000 Euro Kombination von Einmalauszahlung und Verrentung. Im VK will die Finanzaufsicht die Verpflichtung einführen, dass vor einer endgültigen Entscheidung über die Auszahloption die Betriebsrentenanbieter die zukünftigen Leistungsempfänger zu einer kostenlosen Beratung durch die unabhängige staatliche Einrichtung "Pension Wise" weiterleiten, und nur durch einen aktiven Verzicht der Leistungsempfänger eine Terminvereinbarung nicht zustande kommt.
Da Standardbeiträge meistens nur knapp über den Mindestbeiträgen festgelegt werden, sind die durchschnittlichen Beiträge niedriger als diejenigen zu den sonstigen Trägern mit Beitragszusage ohne AE. Eines der wesentlichen Resultate der empirischen Länderanalysen ist somit, dass AE-Standardoptionen zwar im Durchschnitt niedrigere Beitragszahlungen pro Kopf zur Folge haben (wie in Italien und dem VK), aber gleichzeitig zu einer ansteigenden Partizipationsquote führen (wie in Polen, Litauen, Kanada und den USA).
Die Studie kommt abschließend zu einer Liste von Handlungsempfehlungen mit Gewichtungen ("Best practices scoreboard"). Die Wichtigsten sind hieraus Folgende:
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Allgemeine Rahmenbedingungen: Notwendig ist ein Grundkonsens zwischen allen beteiligten Akteuren (Gesetzgeber, Trägerunternehmen, Einrichtungen betrieblicher Altersversorgung, Tarifvertragspartner u. a.) über die angestrebten Ziele der AE-Einführung. Dazu gehört der Stellenwert, den AE-Betriebsrenten im Drei-Säulen-Rentensystem des jeweiligen Staats erreichen sollen (qualitativ und quantitativ), von dem wiederum etwaige steuerliche o. a. Förderungen abhängen. Die Kompetenzen der Finanzaufsicht müssen eindeutig festgelegt sein (wie etwa in der EbAv II-Richtlinie zu Kapitalmarktrisiken), eine stufenweise AE-Einführung wird dagegen nicht empfohlen.
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Teilnahmeentscheidung: Hinsichtlich der weiteren Verbreitung von Betriebsrenten kann AE dann besonders erfolgreich sein, wenn sie für alle Unternehmen verpflichtend ist, es keine Wartezeiten für neue Arbeitnehmer in einem Unternehmen gibt und die Arbeitgeber selbst einen Zuschuss leisten (etwa bei jungen Leuten - Mindestalter 18 - und Geringverdiener und Geringverdienerinnen). Empfohlen werden auch freiwillige Teilnahmemöglichkeiten von Selbständigen sowie die automatische Wiederanmeldung bei vorangegangener Abwahl durch Arbeitnehmer (mit der erneuten Möglichkeit zur aktiven Abwahl).
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Ansparphase – Anlageauswahl: Für möglichst einfache Entscheidungsfindungen wird empfohlen, standardisierte Angebote für Anlagestrategien (wie Lebenszyklusmodelle) mit Kostendeckelungen zu entwickeln. Als Vorbild sollte ein staatlicher oder öffentlich-rechtlicher Fonds geschaffen werden, der einen entsprechenden Wettbewerbsdruck auf andere private Anbieter ausüben soll. Letztere sollen zahlenmäßig begrenzt sein und über eine gesonderte Zulassung durch die Finanzaufsicht verfügen. Diese begrenzenden Maßnahmen sind deshalb notwendig, da gerade die Personengruppen, die freiwillig kaum eine Betriebsrente abschließen würden (wie Geringverdiener und Geringverdienerinnen), erfahrungsgemäß über noch weniger finanzielle Allgemeinbildung verfügen als etwa Besserverdienende.
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Ansparphase – Vermögensaufbau: Für einen kontinuierlichen Vermögensaufbau sind regelmäßige Beitragszahlungen unabdingbar. Empfohlen werden deshalb eher niedrig angesetzte Standardbeiträge sowohl von Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite. Befristete Unterbrechungen von Beitragszahlungen sollten unter bestimmten Bedingungen dennoch möglich sein. Als weitere vertrauensbildende Maßnahme ist die Offenlegung und transparente Präsentation von einmaligen und laufenden Kosten unabdingbar. Die Studie verweist hierfür auf die von EIOPA entwickelten "Pension Benefit Statements" für Betriebsrenten (beruhend auf den Informationspflichten der EbAv II-Richtlinie), die als Vorbild dienen sollten.
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Auszahlphase: Empfohlen wird auch hier, eine Anbieter-übergreifende, verbindliche Standardoption anzubieten, die einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Auszahloptionen darstellen soll. Bis auf sehr kleine Vertragsguthaben sollte es standardmäßig eine Kombination aus Auszahlplan und späterer lebenslanger Verrentung geben. Konkrete Zahlen werden nicht genannt, aber die Verrentung soll nur das Langlebigkeitsrisiko abdecken und deshalb nicht zu früh starten, da sie sonst zu teuer und unflexibel wäre. Vor Beginn der Auszahlphase sollte eine obligatorische Beratung stattfinden, die allerdings von einer Anbieter-unabhängigen öffentlichen Einrichtung vorgenommen werden sollte. Die Möglichkeiten einer vorzeitigen Auszahlung des Vertragsguthabens sollten auf wenige Ausnahmesituationen beschränkt werden (z. B. schwere Krankheiten oder extreme finanzielle Belastungen). Eine Alternative dazu könnten Policendarlehen sein.
Wer sich einen raschen Überblick über die einzelnen Empfehlungen und ihre jeweiligen Gewichtungen verschaffen möchte, sei auf die Tabellen 13 (S. 156/157) und 14 (S. 159/160) verwiesen. Es muss betont werden, dass diese Studie keine "Machbarkeitsstudie" ist, es werden z. B. bewusst keine präzisen Schwellenwerte für Mindest- oder Standardbeiträge genannt, da die ökonomische Ausgangssituation in den einzelnen Staaten zu unterschiedlich ist. Die Studie ist aber sehr hilfreich als "Ideengeber“.
So geht in Deutschland die Debatte um die Reform von Rente und Altersvorsorge nach der Bundestagswahl vom September 2021 weiter, die betriebliche Altersvorsorge spielt vorläufig eine eher untergeordnete Rolle. Ein Verbandsvertreter lehnt ein mögliches Obligatorium in der betrieblichen Altersversorgung bisher ab. Diese Studie ist sicherlich hilfreich, hierbei zu differenzierteren Perspektiven zu kommen.
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