Kommt die Elementarschaden-Pflichtversicherung?
Der Bundesrat hat auf Initiative der Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen und Thüringen die Bundesregierung aufgefordert, kurzfristig einen konkreten bundesgesetzlichen Regelungsvorschlag zur Einführung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung zu erarbeiten. Was dieser Schritt bedeutet und wie eine Lösung aussehen könnte, erläutert BdV-Vorstand Stephen Rehmke im Interview.
Stephen, was ist von der aktuellen Entwicklung zu halten?
Stephen Rehmke (SR): Anders als in den zwanzig Jahren zuvor verliert sich die Debatte um die Einführung einer Versicherungspflicht bei Elementarschäden nicht mehr im Nirwana rechtlicher Bedenken. Das ist gut. Es ist aber ziemlich ernüchternd, wie Bund und Länder momentan noch die Verantwortung hin und her schieben, ohne voranzukommen.
Denn der Bundesrat hat anders als stellenweise angenommen keinen konkreten Gesetzesentwurf vorgelegt, sondern eine unverbindliche Entschließung an Bundesregierung übermittelt. Die Bundesländer, die von der Notwendigkeit einer verbindlichen Lösung überzeugt sind, sollten aus unserer Sicht selbst konkret werden und eigenständig loslegen.
Theoretisch können sich Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer doch schon heute absichern. Warum sollte der Staat hier überhaupt aktiv werden?
SR: Die Absicherung von privaten Gebäuden gegen Naturgefahren ist nicht ausreichend. Bundesweit ist nur jedes zweite Gebäude gegen Elementarschäden versichert. Selbst nach Naturkatastrophen wie den Sturzfluten im Ahrtal 2021 steigt die Versicherungsdichte nicht signifikant. Der Staat muss handeln, damit sich an der Situation etwas ändert.
Der Klimawandel wirkt so stark, dass die Anpassung an die Folgen ein verfassungsrechtliches Gebot ist. Und der Staat ist für den Schutz und den Erhalt von Wohnbestand auch aus sozialen Gründen verantwortlich. Das kann er nicht allein den Eigentümerinnen und Eigentümern von Immobilien überlassen. Hält er die Versicherungslösung nicht nach, löst sich auch das Samariter-Dilemma nicht auf.
Inwiefern?
SR: Viele Eigentümer und Eigentümerinnen übernehmen Verantwortung, versichern ihre Gebäude und tragen damit einen solidarischen Anteil am Wiederaufbau von Siedlungsstrukturen. Andere sorgen nicht vor, weil ihnen die mangelnde Absicherung vor Starkregen und Hochwasser nicht bewusst ist oder sie Extremwettereignisse unterschätzen und darauf vertrauen können, dass im Zweifel der Staat mit Nothilfeprogrammen unterstützt.
Hier setzt sich die Politik auch entsprechend in Szene. In der Folge bleibt nicht nur die Nachfrage nach Elementarversicherungen aus, es werden auch keine baulichen Schutzmaßnahmen getroffen. Das treibt Schäden und Kosten weiter in die Höhe und lässt die Versicherungsprämie weiter steigen. Den Kreislauf kann der Staat nur durchbrechen, indem er im gar nicht mehr zahlt oder die Versicherung für alle verbindlich macht.
Schätzt die Bundesregierung das denn anders ein?
SR: Im Grunde nicht. In ihrem ausführlichen Bericht zur Einführung einer Pflichtversicherung aus Dezember 2022 beschreibt sie jedenfalls das gleiche Dilemma. Hier wird allerdings vertreten, dass die Finanzverantwortung eindeutig den Eigentümerinnen und Eigentümer der Wohngebäude zuzuweisen sei und man deshalb auf eine besondere staatliche Kontrolle der Versicherungspflicht verzichten könne.
Im Schadenfall müssten nicht versicherte Eigentümerinnen und Eigentümer den wirtschaftlichen Wertverlust des eigenen Wohngebäudes allein tragen, staatliche Hilfszahlungen könnten sie dann nicht mehr erwarten. Solche Ankündigungen wurden in der Vergangenheit bereits gemacht. Sie erwiesen sich im Katastrophenfall als nicht tragfähig.
Die Versicherungswirtschaft ist gegen eine Pflichtversicherung und setzt auf eine vollintegrierte Wohngebäudeversicherung. Was hältst Du davon?
SR: Der GDV – der Dachverband deutschen Versicherer – will zurecht ein ganzheitliches Konzept. Er fordert als wesentliches Element von der Regierungsseite verbindliche Schritte zur Klimafolgenanpassung. Mir wird allerdings nicht ganz klar, wie er das mit dem zweiten Element – einer Wohngebäudeversicherung mit Einschluss der Elementargefahren – in Verbindung setzen will. Soll diese Versicherungslösung erst kommen, wenn der Staat die ersten Maßnahmen umgesetzt hat? Wenn ja, wer bestimmt den Umfang?
Noch mehr Kopfzerbrechen bereitet die Versicherungslösung selbst: Den Einschluss der Elementarschäden will der GDV mittels einer fiktiven Zustimmung auch bei Bestandskundinnen und -kunden umsetzen. Widersprechen die Versicherten einem Einschluss, soll das nach den Vorstellungen des Lobbyverbands eine Haftungsfreistellung für die Versicherer, die Vermittler und den Staat auslösen.
Der Vertragsschluss durch Schweigen ist eine Spezialität von Kaufleuten. Im Privatrecht und vor allem im Verbraucherrecht sind stillschweigende Zustimmungen völlig fremd. Das hat zuletzt auch der Bundesgerichtshof zu einem entsprechenden Umgang der Banken und Sparkassen mit ihren AGB klargestellt. Derartig schwere Eingriffe in die Vertragsfreiheit lassen sich meiner Überzeugung nach nur im engen Rahmen eines staatlich kontrollierten Pflichtsystems rechtfertigen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
SR: Der BdV einen Vorschlag gemacht, wonach die Bundesländer selbst initiativ werden können. Er sieht ein kollektives Pflichtsystem vor, das die Bundesländer zusammen mit der Versicherungswirtschaft als Poollösung bereitstellen und durch einen Zuschlag auf die Grundsteuer finanzieren. Wer eine private Elementarschadenversicherung hat, wird von dem Pflichtsystem und dem Zuschlag befreit. Einer Steuerzahlung wird sich kaum eine Eigentümerin oder ein Eigentümer entziehen. Das ist anders als bei einer Pflichtversicherung, die mit keinerlei Kontrolle oder gar Sanktionen verbunden ist.
Wichtig ist aber, dass weiter beharrlich an nachhaltigen Versicherungskonzepten gearbeitet wird. Dazu gehört, die Rolle der Versicherer zu verstehen und ihre Aufgaben zu definieren, sich über Praxisbeispiele anderer Länder zu informieren und die besonderen rechtlichen Anforderungen zu meistern.
Deshalb warte ich schon mit Spannung auf unsere Wissenschaftstagung im Mai, auf der wir uns mit Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Verbraucherschutz und Versicherungswirtschaft über diese Fragen austauschen werden.
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