„Ohne Kompromiss wird das PEPP keine Zukunft haben“
Dr. Christian Gülich (CG) ist EU Policy Officer beim Bund der Versicherten e. V. (BdV) und Mitglied der Insurance and Reinsurance Stakeholder Group (IRSG) der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA. Im Interview spricht er über die Konsultation der EU-Kommission zu „Supplementary Pensions“ und erklärt, wo er die größten Schwachstellen bei PEPP, digitalen Rentenübersichten und betrieblicher Altersvorsorge sieht.
Worum ging es bei der Konsultation der EU-Kommission?
CG: Die Kommission hat ein sehr breites Konsultationsverfahren gestartet, das die private und betriebliche Altersvorsorge sowie Reformvorhaben auf europäischer Ebene betrifft. Diskutiert wurden insbesondere drei Themenfelder: erstens digitale Rentenübersichten, sowohl individuell als auch in Form eines EU-weiten Dashboards, zweitens das Pan-Europäische Altersvorsorgeprodukt (PEPP) und drittens die betriebliche Altersvorsorge, also vor allem von Pensionskassen und Pensionsfonds.
Im Fachbeirat der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA („IRSG“) habe ich die Arbeitsgruppe zu dieser Konsultation geleitet. Außerdem konnte ich die BdV-Positionen auch in die Stellungnahme von Better Finance, unserem europäischen Dachverband in Brüssel, einbringen.
Beginnen wir mit den digitalen Rentenübersichten. Welche Punkte waren hier zentral?
CG: Es ging um zwei Ebenen. Erstens die individuelle Rentenübersicht, die in Deutschland derzeit getestet wird, in anderen EU-Staaten aber schon etabliert ist. Ein Vorteil in Deutschland ist, dass alle drei Säulen erfasst werden: gesetzliche Rente, betriebliche Vorsorge und private Altersvorsorge – und dabei auch nicht-versicherungsförmige Sparpläne wie Fondssparpläne berücksichtigt werden.
Der BdV fordert, dass diese Sparpläne in allen EU-Ländern Teil der Rentenübersichten sein sollen. Immobilienbesitz wird allerdings nicht erfasst. Wichtig ist aus unserer Sicht auch: Die Rentenübersicht darf nicht zum Vorwand werden, um Versicherer und Anbieter betrieblicher Altersvorsorge von ihren jährlichen Informationspflichten („Standmitteilungen“) zu entbinden. Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen beides – die Übersicht und die Pflichtinformationen.
Und was hat es mit dem „Pension Dashboard“ auf EU-Ebene auf sich?
CG: Das ist eher ein statistisches Instrument, das die Gewichtung der drei Säulen in den einzelnen Mitgliedsstaaten vergleichbar machen soll – ähnlich wie der Alterssicherungsbericht in Deutschland, der alle vier Jahre von der Bundesregierung veröffentlicht wird. In vielen Ländern gibt es solche Berichte gar nicht. Ein Dashboard könnte also helfen zu verstehen, warum beispielsweise in den Niederlanden die betriebliche Altersvorsorge eine wesentlich größere Rolle spielt als in Deutschland.
Das Pan-Europäische Altersvorsorgeprodukt (PEPP) gibt es seit 2022. Wie ist hier die Lage?
CG: Bisher gibt es nur einen Anbieter, und zwar in mittel- und osteuropäischen Staaten. Das Projekt gilt daher als gescheitert. Zwischen Anbietern und Verbraucherschützern herrscht Streit über die Gründe: fehlende steuerliche Anreize, starre Vorgaben zur Kapitalanlage, Kostendeckelungen und zu viel Verwaltungsaufwand. Klar ist: Ohne Kompromiss wird das PEPP keine Zukunft haben.
Denkbar wären zum Beispiel grenzüberschreitende Vertragsabschlüsse unabhängig vom Wohnort, Online-Vertrieb auch ohne Beratung, Aufweichung der Kostendeckelungen, Kapitalanlagevorschriften zur Risikominderung nur optional, Pflicht aller EU-Staaten, steuerliche Vergünstigungen entsprechend nationaler Gesetzgebung als Mindeststandard zu gewähren.
Wie positioniert sich der BdV in Fragen der betrieblichen Altersvorsorge?
CG: Beim Thema automatische Anbindung („auto-enrolment“) ist unsere Haltung klar: In Deutschland sprechen die hohen Kosten- und Abgabenbelastungen in der Auszahlungsphase eindeutig gegen eine solche Verpflichtung, die Zillmerung der Verträge ist ebenfalls weit verbreitet.
Insgesamt ist die Debatte in Europa gespalten, denn sowohl Produktanbieter als auch Verbraucherschützer bringen Argumente dafür und dagegen vor: Kritisiert wird etwa ein möglicher Eingriff in die Freiheit von Vertragsabschluss und Produktgestaltung, die Renditeminderung durch Steuern und andere Abgaben in der Auszahlungsphase sowie die Frage, welche Rolle Staat und Tarifparteien bei Mindestvorgaben spielen sollen. Gleichzeitig sollte die individuelle Abwählbarkeit dieser Vorsorgeart („opt-out option“) verpflichtend angeboten werden.
Bei Pensionskassen und -fonds sehen wir die Aufsicht grundsätzlich gut aufgestellt. Dennoch wäre es wünschenswert, die Informationspflichten stärker zu vereinheitlichen, etwa bei Kosten, Renditeprognosen oder den Auszahlungsoptionen.
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EIOPA ist die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung mit Sitz in Frankfurt/ Main. Sie ist Teil des Europäischen Systems der Finanzaufsicht. Als unabhängiges Gremium berät sie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der EU. EIOPA soll zur Stabilität des Finanzsystems beitragen, die Transparenz von Produkten und im Vertrieb erhöhen und dadurch Versicherungsnehmer*innen, Versorgungsanwärter*innen und Leistungsempfänger*innen schützen.
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