„Am meisten Freude bereitet die gelebte Internationalität dieser Arbeit“

Dr. Christian Gülich (CG) ist EU Policy Officer beim BdV und seit 2023 einer der Vizepräsidenten von BETTER FINANCE. Im Interview berichtet er, was seine Arbeit in Brüssel ausmacht, wo die größten Herausforderungen liegen – und warum echte Beratung nur unabhängig sein kann.
Christian, du bist eines der Urgesteine beim BdV, dein Job-Titel lautet „EU Policy Officer“. Letztes Jahr bist du nun auch noch zu einem der beiden Vizepräsidenten von der Organisation BETTER FINANCE gewählt worden. Dein Job-Titel klingt spannend – was machst du genau?
CG: Meine Aufgabe ist, alle Entwicklungen auf EU-Ebene exakt zu verfolgen, die rechtlich und ökonomisch die Versicherungswirtschaft tangieren. Das betrifft neue Verordnungen und Richtlinien (etwa zum Vertrieb) sowie die laufenden Kapitalmarktschwankungen und ihre Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität (z. B. Solvenzgefahren). Die Entscheidungen in Brüssel und Frankfurt sind mittlerweile wichtiger als auf nationaler Ebene.
Was macht dir am meisten Freude und wo liegen die größten Herausforderungen?
CG: Am meisten Freude bereitet eindeutig die gelebte Internationalität dieser Arbeit. Ich begegne Menschen von Helsinki bis Athen, von Vilnius bis Lissabon. Bei einigen Veranstaltungen findet sogar ein Austausch auf weltweiter Ebene statt.
Die größte Herausforderung liegt darin, beim Auftritt von gewieften und hartnäckigen Repräsentanten der Unternehmensseite schnell und präzise Gegenantworten zu finden.
Fühlst du dich beleidigt, wenn man dich Lobbyist nennt?
CG: Es gibt im Englischen den begrifflichen Unterschied zwischen „lobbyism“ und „advocacy“. Letzteres könnte man mit „Befürwortung“ oder besser mit „Anwaltschaft“ für bestimmte Positionen bezeichnen. Insofern bevorzuge ich diesen Ausdruck, denn „Lobbyist“ zu sein, hat bekanntermaßen ein bestimmtes Geschmäckle.
Was ändert sich für dich durch die Wahl zum Vizepräsidenten von BETTER FINANCE?
CG: BETTER FINANCE ist der freiwillige Zusammenschluss von NGOs im Bereich Finanzdienstleistungen auf EU-Ebene, der direkt in Brüssel versucht, Verbraucherstandpunkten Gehör zu verschaffen. Der BdV ist dabei die einzige Organisation, die sich ganz auf Versicherungen spezialisiert hat.
Um das nach innen und außen zu unterstreichen, bin ich zu einem der Vize-Präsidenten gewählt worden. Seit der Wahl hat meine Aufgabe, sowohl BETTER FINANCE als auch den BdV, etwa bei großen Veranstaltungen der EIOPA, mit Vorträgen und bei Podiumsdiskussionen zu repräsentieren, deutlich zugenommen.
Sind sich der BdV und BETTER FINANCE in ihren Forderungen immer einig?
CG: Ja, es gibt keine gravierenden Meinungsunterschiede in den wichtigsten Fragen. Sonst wären wir auch nicht Mitglied geworden. Wir erarbeiten gemeinsame Stellungnahmen zu diversen Themen (IDD, PEPP, Solvency II, EbAv II u. a.) und stehen in regem Austausch.
Unterschiede können sich aufgrund unterschiedlicher praktischer Erfahrungen ergeben wie z. B. beim Thema Inflation. In vielen anderen EU-Staaten war diese schon viel früher eine gelebte schlimme Erfahrung für die Menschen.
Welches Anliegen hat für dich in deiner Funktion aktuell am meisten Priorität?
CG: Auf EU-Ebene ist u. a. die Novellierung der Richtlinie zum Versicherungsvertrieb (IDD) in Vorbereitung. Vor Kurzem konnte ich dazu ein Statement bei einer großen, öffentlichen Veranstaltung von EIOPA abgeben. Einer der schwerwiegendsten Missstände im Versicherungsvertrieb ist, dass eine Vermischung von Verkauf und Beratung stattfindet.
Ich denke, es muss klar sein, dass eine Beratung, die diesen Namen wirklich verdient, nur Anbieter- und Produkt-neutral erfolgen kann, denn nur dann ist ein offenes Ergebnis des Gesprächs zwischen Vermittler und Kunden auch gewährleistet.
Mein Wunsch wäre, dass der Begriff der „unabhängigen Beratung“ in IDD aufgenommen wird, so wie es im Wertpapierbereich schon der Fall ist. Damit verbunden ist, dass bei „unabhängiger Beratung“ die Annahme von Provisionen ausgeschlossen ist. Eine solche Lösung würde die Diskussion um ein mögliches EU-weites Provisionsverbot für Lebensversicherungen entschärfen.
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EIOPA ist die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung mit Sitz in Frankfurt/ Main. Sie ist Teil des Europäischen Systems der Finanzaufsicht. Als unabhängiges Gremium berät sie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der EU. EIOPA soll zur Stabilität des Finanzsystems beitragen, die Transparenz von Produkten und im Vertrieb erhöhen und dadurch Versicherungsnehmer*innen, Versorgungsanwärter*innen und Leistungsempfänger*innen schützen.
BETTER FINANCE ist eine NGO, die Verbraucherinteressen im Bereich Finanzen auf europäischer Ebene gegenüber Gesetzgebern und der Öffentlichkeit vertritt und verteidigt. Dazu gehören Versicherungsnehmer*innen und Betriebsrentner*innen, Wertpapierbesitzer*innen und Kleinaktionäre, Sparer*innen und sonstige Nutzer*innen von Finanzdienstleistungen.