Damals und heute – Allianz fürs Leben?
Gerüchte über mögliche Abwicklungspläne der Allianz sorgen für Aufsehen. Was steckt hinter den Spekulationen, und was bedeutet das für Ihre Lebensversicherung? Warum sich Versicherte Gedanken über Alternativen machen sollten.
In der Versicherungsbranche kursieren Gerüchte um mögliche Run-Off-Pläne – befeuert durch Äußerungen von Allianz-Vorstand Oliver Bäte. Dieser hatte bei der Bilanz-Medienkonferenz des Konzerns im Februar dieses Jahres erklärt, dass es in dieser Frage „keine heiligen Kühe“ gebe. So fragt das branchennahen Fachblatt Zeitschrift für das Versicherungswesen besorgt „Tut die Allianz das Undenkbare?“. Nach unserer Einschätzung ist es nicht unrealistisch, dass die Allianz Lebensversicherungsverträge in eine solche Abwicklung schickt.
Eine ganze Reihe von Branchengrößen hat diesen Schritt schon getan. So hat die Generali ihren Altbestand in 2019 an die heutige Tochter „Proxalto Lebensversicherung AG“ des Abwicklungsunternehmens Viridium übergeben. Zuvor entschieden sich unter anderem die Basler und die Arag Versicherung für eine Veräußerung. Und derzeit laufen bei der BaFin die Genehmigungsverfahren für einen externen Run-Off der AXA für den Bestand der alten DBV-Winterthur und der Zurich für die Verträge des Deutschen Herold.
Die Allianz hat sich bereits in Ländern wie Südkorea, Japan und Taiwan von Lebensversicherungsbeständen getrennt. Innerhalb Europas wurden belgische und britische Lebensversicherungsverträge verkauft – zuletzt wurde über Run-Off-Pläne in Italien berichtet. Den Abverkauf der deutschen Bestände hatte der Konzern bisher immer explizit ausgeschlossen. Jetzt hieß es vielsagend, dass die Effizienz der Kapitalallokation auf der Lebensversicherungsseite überall gesteigert werden müsse und dies auch Deutschland einschlösse. Aktuellen Berichten zufolge erhält Bäte für seinen Unternehmenskurs großen Zuspruch vom Aufsichtsrat des Konzerns und kann sich auf üppige Boni und eine Vertragsverlängerung freuen. Das könnte ihn bestärken, die Nummer auch durchzuziehen.
Der Glaube der Deutschen an "ihre" Lebensversicherung weicht immer mehr einer Skepsis
Andere Lebensversicherer wie die Ergo und die Signal-Iduna LV VVaG haben sich gegen eine Veräußerung entschieden und lieber eigene Run-Off-Plattformen ausgehoben. Und auch die in Deutschland mit großen Marktanteilen vertretenen Versicherungsvereine lehnen eine Abwicklung über einen externen Run-Off-Spezialisten ab. Gleichwohl dürfte sich ein Großteil der Lebensversicherungsbestände faktisch nicht mehr im aktiven Angebot, sondern in einem internen Run-Off befinden.
Für die großen, auch international agierenden Aktienunternehmen ist das keine entspannte Option. Die hohen Garantieversprechen aus der Vergangenheit, die teils als verheerend beschriebenen IT-Systeme, mit denen die Verträge auch heute noch mit hohem Personaleinsatz verwaltet werden müssen, und die verschärften Anforderungen des aufsichtsrechtlichen Solvency II-Regimes drücken die Unternehmensrendite und das Scoring von Analysehäusern und befeuern den Ärger der Aktionärinnen und Aktionäre. Allein der zu befürchtende Reputationsschaden ließ sie stellenweise zögern.
Hohe Abschluss- und Vertriebskosten, die mittlerweile auch die Finanzaufsicht auf den Plan gerufen und sie zur Abfassung von Wohlverhaltensregeln zu Provisionshöhe veranlasst hat; eine laufende Verzinsung, die zwischenzeitlich Rekordtiefen von unter 2% erreichte; empörte Kundinnen und Kunden, die nach dem 2014 durchgedrückten Lebensversicherungsreformgesetz eine massive Kürzung der ihnen eigentlich zustehenden Beteiligung an den Bewertungsreserven der Unternehmen hinnehmen mussten; das fragwürdige Drehen am Rentenfaktor und das undurchsichtige Verrühren von Gewinnen in den verschiedenen Töpfen der Überschussbeteiligung; Tausende von Gerichtsverfahren, in denen Versicherungsnehmende über einen Widerruf des Vertrages einen erträglichen Ausstieg aus ihren Lebensversicherungen versuchen und schließlich der Ärger um unbrauchbare Riester-Verträge – der so lange währende Glaube der Deutschen an ihre bevorzugte Form der Altersvorsorge weicht einer mittlerweile weit verbreiteten Skepsis.
In der Politik wäre das Signal der Allianz nicht mehr zu überhören
Wenn sich nun auch der absolute Branchenprimus mit einem Marktanteil von fast 24 % von dem Produkt vernehmbar lossagt und seine Verträge einer Abwicklungsgesellschaft überlässt, wäre das ein kaum noch zu verkraftender Wirkungstreffer für die Branche.
Auch in der politischen Auseinandersetzung um die dringend zu reformierende geförderte Altersvorsorge wäre das Signal der Allianz nicht mehr zu übertönen – auch nicht durch den millionenschweren Lobbyverband GDV. Welche Politikerinnen und Politiker würden von der „Bürgerrente“ noch etwas hören und es vor allem für die Zukunft weiter verantworten wollen, dass Lebensversicherer von steuerlichen Begünstigungen und direkten Förderungen in Milliardenhöhe profitieren, aber das Geschäft mit der privaten Altersvorsorge an Finanzinvestoren abgeben, sobald ihnen die Kosten zu hoch und die Renditen zu mager erscheinen?
Die Kundinnen und Kunden der Allianz werden jedenfalls ziemlich überrascht sein, wenn ihnen statt der Traditionsmarke nun ein ihnen unbekanntes Unternehmen mit irgendeinem Fantasienamen den aktuellen Stand ihrer Lebensversicherung mitteilt. War doch die Solidität und die vermeintliche Kapitalmarktexpertise des großen Versicherungskonzerns das schlagende Argument der Vertriebsmannschaften, um dessen Lebensversicherungsprodukte als sichere Rentenvorsorge zu verkaufen. Die ‚Allianz fürs Leben‘ – die Schnulze von damals wird heute zum Hohngesang auf das Kundenvertrauen.
Versicherte sollten sich zu Alternativen für die Altersvorsorge beraten lassen – aber bitte unabhängig
Die Run-Off-Gesellschaften werben mit einem durchaus plausiblen Geschäftsplan um Verkaufsangebote. Ohne die immensen Abschlusskosten und Entwicklungsaufwände für Neuverträge und mit einer schlanken Verwaltung durch eine moderne IT könnten sie wenigstens die entsprechenden Rohgewinne der Bestandsverträge auf ein für alle Beteiligten auskömmlicheres Maß erhöhen. Das soll stellenweise auch zu beobachten sein. Als bessere Kapitalanleger konnten sie sich – entgegen ihrer Darstellungen – indes bisher nicht erweisen.
Zuletzt produzierte die Proxalto Lebensversicherung AG (Viridium) Negativschlagzeilen, weil es bei ihr zu immensen Verzögerungen bei den Auszahlungen und Leistungsprüfungen sowie in der Kundenkommunikation kam. Und der Anteilseigner von Viridium, das Londoner Private-Equity-Unternehmen Cinven, ist aktuell aufgerufen, seine italienische Run-Off-Unternehmung Eurovita vor der Pleite zu bewahren. Die ist wegen Kapitalengpässen von der Aufsichtsbehörde unter Sonderverwaltung gestellt und mit einem Auszahlungsverbot belegt worden.
Für ein ‚Raus! Solange es noch geht‘ gibt es aktuell keine Veranlassung. Aber eine Kundin mit einer noch langen Laufzeit in ihrem Lebensversicherungsvertrag sollte ernsthaft überlegen, ob sie ihre Anlageziele nicht besser mit anderen Geldanlagen weiterverfolgen sollte, etwa mit einem kostengünstigen ETF-Sparplan. Über solche Alternativen, aber auch die Nachteile einer Kündigung, sollte man sich unabhängig beraten lassen. Aber bitte nicht beim Allianzvertreter, dem man diesen Vertrag zu verdanken hat. Das wäre doch zu sehr 80er.
(Na gut: für Kids in meinem Alter hier ein Fundstück (ab Minute 2:25))
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