Neujahrsansprache
Erneut muss ich Ihnen in einer Ausnahmesituation die besten Grüße und Wünsche für das neue Jahr übermitteln. Wie schon im vorangegangenen Jahr prägt Corona unser Alltagsleben, aber auch die Versicherungswelt.
In solchen Zeiten Voraussagen zu treffen, ist schwer.
Letztes Jahr habe ich das Bild einer von Zombieunternehmen geprägten Wirtschaftswelt gezeichnet. Dies ist leider eingetreten. Denn besonders die Politik und dabei voran die alte Bundesregierung haben viele Maßnahmen ergriffen und milliardenschwere Förderungen ausgekehrt. Das hat verhindert, dass flächendeckend Unternehmen aus dem Markt ausgetreten sind und nun weiter als Zombies am Leben bzw. als Untote weiter agieren. Ob sich die neue Regierung aber ein derartiges Füllhorn staatlicher Subventionen an weite Kreise der Wirtschaftsunternehmen weiter leisten wird, das ist fraglich – zumal der neue Finanzminister nicht den Plan hat, im nächsten Jahr Kanzler zu werden. Herr Lindner wird vermutlich das Geld strenger zusammenhalten, als es der Kanzlerkandidat Olaf Scholz gemacht hat.
Wir spüren jetzt schon die Auswirkungen dieser Politik durch höhere Verbraucherpreise, die als Inflation wahrgenommen werden - während gleichzeitig aber die Realrenditen auf sehr niedrigem Niveau verharren. Die Politik nahm auf dieses Ungleichgewicht zwischen steigenden Preisen und niedrigen Zinsen in diesem Jahr wenig Rücksicht. Die Bundestagswahl war dazu zu sehr im Fokus.
Aus einem Finanzminister wurde ein Kanzlerkandidat, aus dem Kandidaten wurde ein Kanzler und wir durften zum Ende des Jahres das Ringen um einen Koalitionsvertrag beobachten. Es ist ernüchternd, nun darin zu lesen, dass in den wichtigen Fragen zur Altersvorsorge und zu Versicherungen wieder keine Entscheidungen gefällt wurden. Wieder soll nur „geprüft“ werden, wie es mit der privaten Altersvorsorge und der Riester-Rente weitergehen soll. Eine Richtungsentscheidung? Fehlanzeige.
Wie geht es weiter?
Und so zieht es sich durch alle Bereiche: Provisionsdeckel oder -verbot? Wie geht es weiter mit der Pflegeversicherung? Was geschieht in der privaten Krankenversicherung nach einem knappen Jahrzehnt des Stillstands? Und wie finden wir eine Lösung in der Elementschadenversicherung? Auch hier Fehlanzeige. Der Koalitionsvertrag kennt keine echten Lösungen – von Richtungsentscheidungen ganz zu schweigen.
Wir Fachleute wissen, dass der demografische Wandel kommen wird. Wir wissen, dass das Thema Pflege eine Zeitbombe ist. Wir wissen, dass es zu viele Versicherungsvermittler für einen schrumpfenden Markt gibt. Wir wissen, dass unsere deutsche Versicherungswirtschaft in Sachen Digitalisierung nicht gut genug aufgestellt ist, um sich dauerhaft gegen andere Versicherungskonzepte zu behaupten. Wir wissen, dass zu geringe Altersvorsorge für Millionen Menschen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu sehr großen Problemen führen wird.
Es fehlt an klaren Richtungsentscheidungen
Einzig es fehlt an klaren Richtungsentscheidungen. Die neue Regierung plant, nach Koalitionsvertrag sich so zu verhalten, wie jemand, der sich ein einem dunklen Wald verlaufen hat und unschlüssig an einer Weggabelung steht. Soll ich nach rechts oder links abbiegen? Die Antwort der Politik ist seit vielen Jahren: Wir überlegen und prüfen erst einmal. Klar ist aber: Wer sich nicht entscheidet, der findet auf keinen Fall aus dem Wald hinaus. Wer im Dickicht an einer Weggablung steht und sich nicht bewegt, der kann sich nur sicher sein, nicht aus dem Wald herauszufinden.
Erneut werden also nun in den nächsten Monaten die verschiedenen Lobbyisten der Versicherungswelt und des Verbraucherschutzes neue Abgeordnete kennenlernen. Wieder einmal werden wir versuchen, die Politikerinnen und Politiker für diese Themen zu begeistern. Wieder werden wir mit Kampagnen, Studien und Pressemitteilungen für unsere Positionen werben. Wieder werden wir, Verbraucherschützer und Versicherungslobby, uns in Interviews und Talkshows und auf Podien beharken.
Es ist jetzt der fünfte Bundestag, bei dem ich versuchen werden, einzelne Abgeordnete dazu zu bewegen, sich dieser Themen anzunehmen. Die Erfahrungen der letzten 16 Jahre zusammen mit diesem Koalitionsvertrag geben mir aber wenig Hoffnung, dass sich die Gesamtheit der Volksvertreterinnen und Volksvertreter in 2022 in unseren Themen besonders entscheidungsfreudig zeigen werden.
Versicherungswirtschaft aus dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes
Wie sieht denn aber nun das nächste Jahr speziell für die Versicherungswirtschaft aus dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes aus?
Wenn ich als Vorstandssprecher des Bund der Versicherten immer wieder einen Ausblick auf das neue Jahr wage, dann besteht die Gefahr einer steten Wiederholung. Es erscheint Ihnen als Zuhörinnen und Zuhörern dann vermutlich gähnend langweilig, dass ich immer wieder mit einem gleichermaßen pessimistischen Blick die Lage der Assekuranz beschreibe.
Es ist auch für mich ermüdend, Jahr für Jahr vom „legalen Betrug in der Lebensversicherung“ zu reden. Egal ob sich dieser legale Betrug auf die sinkende und intransparente Überschussbeteiligung bezieht, auf den Missbrauch von Kundengeldern, um die Solvenz der schwächelnden Unternehmen stabil zu halten oder der legale Rentenbetrug durch absurd hohe Annahmen zur Lebenserwartung. Seit mehr als einem Jahrzehnt rede ich, warne ich. Die steten Wiederholungen ermüden aber nicht nur Sie als Zuhörerinnen und Zuhörer, sondern auch mich.
Aber leider werden diese Befürchtungen durch die Lebenswirklichkeit immer wieder bestätigt. Realer Verlust in der Altersvorsorge mit Versicherungen ist der Normalfall geworden, die aktuell gemessenen Teuerungsraten beschleunigen diesen Trend. Rentenkürzungen bei privaten Renten oder bei Riester-Renten sind auch keine Seltenheit mehr. Wir erleben den Niedergang einer einst stolzen Branche, die sich zunehmend selber abwickelt – dabei aber immer das Geld der Versicherten verbrennt.
Wir brauchen Entscheidungen
Wenn es um Altersvorsorge geht, dann stehen wir tief in dem schon vorhin angesprochenen Wald an einer Weggabelung. Wir stehen vor großen Entscheidungen, wir müssen endlich einen Weg einschlagen, wie es mit der Altersvorsorge angesichts der alternden Gesellschaft weitergehen soll! Es geht darum, eine Richtung vorzugeben! Die Politik ist gefordert, mehr denn je!
Wenn man aber im Wald zu lange wartet, dann wird es dunkel und immer schwerer, einen Weg zu finden. Abwarten ist keine Option.
Wenn es um die von mir genannten Probleme geht, da bin ich mir mit vielen Entscheidern aus der Versicherungswirtschaft ausnahmsweise einig: Wenn wir zu lange untätig warten, dann wird es düster. Wir brauchen Entscheidungen.
Bitte bleiben Sie gesund, ergreifen Sie die Möglichkeiten, sich vor Corona zu schützen und passen Sie auf sich und Ihre Lieben auf.
Ich wünsche Ihnen ein schönes 2022.