Versichert, bis das Wasser kommt

Viele erinnern sich noch: Im Herbst 2023 trat nach einer heftigen stürmischen Wetterlage die Ostsee über die Ufer, setzte Gebäude unter Wasser, zerstörte das Mobiliar und auch so manchen Camper. Die Betroffenen dieses Ostseehochwassers erhielten trotz bestehender Elementarversicherung keine Entschädigung. Gemeinsam mit den Verbraucherzentralen aus dem Norden prüfen wir daher eine Sammelklage gegen Versicherer – um den Geschädigten zu ihrem Recht zu verhelfen.
Uns erreichen viele Nachfragen: Was genau wollen wir erreichen? Es geht uns um zwei Punkte.
Juristisch streiten wir um Folgendes: Die Versicherer lehnten eine Schadenregulierung mit Verweis auf die Risikoausschlussklausel ab: „Nicht versichert sind Schäden durch: Sturmflut.“ Das soll offenbar selbst für Versicherte mit Grundstücken über 30 km von der Ostsee entfernt gelten – etwa in Schleswig.
Gerichte sehen das differenzierter: Von einer Sturmflut könne laut dem Österreichischen Obergerichtshof nur bei einer „typischerweise gezeitengesteuerte(n) und windverstärkten(n) Hochwassererscheinung“ gesprochen werden - im konkreten Fall versuchte ein Versicherer, eine Sturmflut auf dem Wolfgangsee (?!) zu verorten (OGH, Urteil vom 29.3.2006 – 7 Ob 69/06g). Auch das Kammergericht Berlin entschied ähnlich zu einem Vorfall am Fluss Warnow (Urteil vom 26.7.2019 – 6 U 139/18). Vor diesem Hintergrund dürfte die Klausel für Durchschnittsversicherte nicht verständlich genug sein und damit gegen das Transparenzgebot verstoßen. Jedenfalls greift die Unklarheitenregel zulasten des Verwenders (§307 Absatz 1 Satz 1, 2 BGB sowie §305c Absatz 2 BGB).
Ein Blick in die juristischen Kommentierungen zeigt, dass das keine Einzelmeinung ist. Das wollen wir nun gerichtlich klären.
Zum Zweiten geht es um einen Klassiker: Wie fair behandeln Versicherer ihre Kundinnen und Kunden - und wie viel gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sie? Die Versicherungswirtschaft mit ihrem Lobbyverband GDV an der Spitze stellt sich in der Debatte um eine Pflichtversicherung bei Naturkatastrophen gegen eine weitreichende staatliche Lösung.
Ihr zentrales Argument: Jedermann könne sich freiwillig mit einer Elementarversicherung schützen. Dass die Versicherer damit nicht die potenziell apokalyptische Zerstörungskraft der Nordseefluten meinen, kann man sich noch denken. Aber jetzt sollen die Versicherten an der Ostsee erkennen, dass das auch für sie nicht gilt. Was ist der Unterschied zu den jüngsten Sturzfluten und Überschwemmungen im Südwesten und Süden Deutschlands?
Dass ihr bedingungsmäßiger „Hochwasserschutz“ so durchlässig ist wie die alten Deiche vom Schimmelreiter Hauke Haien, haben einige Versicherer offenbar mittlerweile erkannt und die Sturmflutklauseln ergänzt. Jetzt gilt: Nicht versichert sind „Schäden durch Überschwemmung des Versicherungsgrundstückes durch Ausuferung von Nord- oder Ostsee“ – ergänzt um „oder Elbe“. Grüße gehen raus an die Bewohnerinnen und Bewohner, Betriebe und kommunalen Unternehmungen in Dresden, Magdeburg oder Wittenberg.
Das sollte auch Maklern und den versicherungsnehmenden Wirtschaftsunternehmen zu denken geben, die eine verpflichtende Lösung ablehnen. Denn es zeigt, wohin die Reise in Sachen Klimafolgenanpassung aus Sicht dieser Versicherer geht: Rette sich, wer kann. Und das müssen wir politisch klären.
Das könnte Sie auch interessieren:
„Viele hatten sich versichert und stehen nun ohne Entschädigung da“ – Interview mit BdV-Vorstand Stephen Rehmke zum Ostseehochwasser
Sammelklage nach Ostseehochwasser – Betroffene und Unterstützer*innen gesucht
Naturkatastrophen: BdV fordert Vorsorge statt Nachsorge – Positionspapier zum Schutz vor Naturgefahren